Sonnenuntergang in Porto Alegre

Sonnenuntergang in Porto Alegre

Freitag, 12. August 2011

Abschied von Porto Alegre

Am letzen Tag heb ich es leider nicht geschafft, den schon geschriebenen letzten Blogeintrag noch online zu stellen, deshalb kommt er etwas verspätet:

Nach 12 Monaten Freiwilligendienst in Brasilien ist jetzt - viel zu schnell - so weit: Morgen um diese Zeit bin ich wieder in Deutschland, am anderen Ende der Welt und mein Austausch ist endgültig vorbei.
Die letzten Wochen waren schon von dieser sich ankündigenden Wehmut gekennzeichnet und eine Abschiedveranstaltung reihte sich an die nächste: das rauschende Abschiedfest, das meine Kollegen mir bereiteten; ein Abschiedsgrillen im Cesmar; die Formatura meiner Cousine, die zum Abschied von all meinen Cousins und Onkeln wurde und dann natürlich der Abschied von den Kindern im Cesmar - der so schön und gleichzeitig so herzzerreissend war.

Jetzt sitze hier in die letzten Minuten in meinem brasilianischen Zimmer auf gepackten Koffern, in 2 Stunden geht es zum Flughafen und morgen um diese Zeit stehe ich schon in Münster-Osnabrück bei der Gepäckausgabe.
So unglaublich schnell ist es vergangen dieses Jahr, das es mir scheint, als wäre es erst gestern gewesen, dass meine Gastmutter mich zum ersten mal in dieses Zimmer geführt hat. Ich erinnere mich noch gut daran, wie das Busfahren mich jeden Tag vor eine Herausforderung stellte und wie jeder Arbeitstag im Cesmar ein Abenteuer war.
Jetzt, 12 Monate später, sind mir Porto Alegre, dieses Haus und das Cesmar so vertraut, dass es scheint, ich hätte schon immer hier gelebt.

Das Jahr, auf das ich zurückblicke, waren 12 ergeignisreiche Monate. Ich bin in eine fremde Kultur eingetaucht, habe eine neue Sprache erlernt, habe wunderbare Menschen kennengelernt, tolle Reisen gemacht und das wahrscheinlich wichtigste: Ich habe eine Lebenswirklichkeit kennengelernt, deren Existenz ich zwar aus dem Fernsehen kannte, aber von der ich mir keine wirklichen Vorstellungen machen konnte.
Die Arbeit in der Favela, der Kontakt mit den Ärmsten der Armen war der Dreh- und Angelpunkt meines Austausches und auch die Erfahrungen, die mich am meisten geprägt haben.

Mein Jahr war nicht immer ganz einfach, denn auch wenn es in den Blogeinträgen und Emails manchmal so aussieht, als wäre so ein Freiwilligendienst nur Party, Spass und Sonnenschein - so ist es ganz gewiss nicht. Die Arbeit im Cesmar trieb mich häufig an die Grenzen meiner Belastbarkeit und auch darüber hinaus. Nicht selten kam ich vollkommen ausgelaugt und fertig nach Hause und musste mich erstmal auf mein Bett setzen und weinen, um den Tag zu verarbeiten: die Geschichten der Kinder, die Armut in der Favela, ein eskalierter Konflikt, den ich nicht lösen konnte - Gründe zum verzweifeln gab es genug während dieses Jahres.
Nichtsdestotrotz: Verzweifelt bin ich nie und wenn der Dienstag auch noch so furchtbar war, am Mittwoch stand ich pünktlich um 8 Uhr wieder im Cesmar und versuchte, die Erfahrungen vom Vortag als Ansporn zu nutzen.

Neben den Katastrophen, Rückschlägen und Niederlagen gab es aber auch so unglaublich viele schöne Momente im Cesmar: die strahlenden Augen, das Kinderlachen, die mit Liebe gemalten Bilder, dass Daniel endlich seinen Namen schreiben kann, gelungene Tanzaufführungen und die anderen zahllosen Augenblicke, die für alle schweren Tage entschädigten.

Die Erfahrungen, die ich hier in Brasilien und vorallem im Cesmar gemacht habe, waren prägend für mein Leben und werden mich weiterhin begleiten.
Ich möchte an dieser Stelle nocheinmal ganz herzlich euch und Ihnen danken, die meinen Aufenthalt hier in Porto Alegre ermöglicht haben.
Vielen, vielen Dank für die Unterstützung - ohne meinen Spenderkreis wäre mein Freiwilligendienst im Cesmar nicht möglich gewesen.

Dies ist jetzt erstmal meinen letzter Blogeintrag aus Brasilien für lange Zeit aber eins weiss ich ganz bestimmt: ich will wiederkommen, sobald es geht.

Dienstag, 2. August 2011

Don´t be a GRINGO - Ein Hoch auf das Suitcasing!




"Don´t be a GRINGO" - so lautet der Aufkleber, der in einem Hostel in Rio am Kühlschrank hing.
"Gringo" ist hier in Lateinamerika ein abfälliger Name für Toursiten, insbesondere Nordamerikaner, die am liebsten reisen, um in fremden Ländern genau das zu suchen, was sie von zuhause kennen. Die Art von Touristen, die am liebsten in Best-Western-Hotels unterkommen, sich ihr Nutella mit in den Urlaub nehmen und am liebsten in Bankog bei MC Donalds essen. Mit weissen Tennissocken in der Sandalen, dem ADAC-Reiseführer und der Kamera bewaffnet klappern diese "Gringos" dann die TopTips auf der Umschlaginnenseite des Reiseführers ab (am liebsten in Begleitung einer deutschsprachigen Reiseleitung) um das Land kennenzulernen.
Näherer Kontakt zur Kultur des Urlaubslandes ist den Gringos jedoch unerwünscht: Von dem typischen Essen bekommt man bestimmt Durchfall, die typischen Viertel sind bestimmt gefährlich und sowieso lassen Werte und Normen in diesem Land arg zu wünschen übrig, die Leute sind hier alles so anders - das höchste der Gefühle ist da die vom Hotel angebotene "Karibische Nacht", mit an europäischen Geschmack angepassten "typischen" Gerichten und ein paar traditionellen Tänzen.
Wir Austauschfreiwillige wollen natürlich trotz blonder Haare und verbrannter Nasen nicht in die Gringo-Kategorie gehören, sondern unser Gast- und vielleicht die Nachbarländer als "Locals" kennenlernen, in die Kultur eintauchen, Land und Leute kennenlernen.
Daraufhin brach ein regelrechter Wettkampf darum aus, wer alternativer reiste und näher an der Kultur dran war: Mit dem Lama über die Anden, im Kajak den Kongo runter, per Bananenlaster durch Malaysia oder auf dem Esel durch die Mongolei: Je abenteerlicher, desto besser - hauptsache kein Gringo!
Die Reiseziele der meisten Freiwilligen waren Orte, die keiner buchstabieren geschweige denn aussprechen konnte und die definitiv in keinem Reiseführer verzeichnet sind. Reiseführer sind schliesslich für Gringos. Wenn schon, dann nutzen alternative Backpacker den "Lonely planet".

Meine Reisen wurden von den Freiwilligen weltweit häufig belächelt: Ich flog meistens von Ort zu Ort, statt mich per Lastwagen durchzuschlagen und statt des unerlässlichen Backpacker-Atributs (dem Rucksack) benutzte ich einen spiessigen blauen Reisekoffer.
Da hätte ich ja gleich eine TUI-Pauschalreise buchen können.
Die Kultur würde ich so auf keinen Fall kennenlernen und auch keine Abenteuer erleben, sondern die gleichen Gringosfotos machen wie die Rentner der Kreuzfahrtschiff-Tagestouren.
So sagte man mir.

Mein Reisemantra ist jedoch nicht "Don´t be a GRINGO".
Ich halte mich an das, was meine Eltern mir sagten, wenn sie mir erklärten, warum wir in fremden Ländern kein Sauerkraut essen sondern in thailändischen Garküchen irgendwo auf die Karte tippen und uns überraschen zu lassen: "When in Rome, do as the Romans".
Wie könnte man schliesslich ein Land besser kennenlernen, als wenn man sich unter die Einheimischen mischt?
Deshalb suchte ich mir für meine Reiseroute hauptsächlich Ziele aus, in denen ich einheimische Freunde hatte: Santa Cruz de la Sierra, São Paulo, Buenos Aires und La Paz.
Statt also wie die "Gringos" von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit zu rennen oder wie die "alternativen Backpacker" die "Geheimtipps" des Lonely Planets abzuklappern (an denen es komischerweise von Backpackern aller Herren Länder wimmelt, aber keine Locals mehr da sind), liess ich mir die Stadt von Einheimischen zeigen. Statt in einem Hostel voller Backpacker schlief ich auf Lauras Couch, statt der Restauranttipps des Reiseführers lernte ich Paula Lieblingscafé kennen. Ich verpasste bestimmt so manches Museum, weil ich mit Mauricio auf einen untouristischen Berg kletterte und und einen atemberaubenden Blick auf die Anden genoss. Statt auf eine Tangoshow ging ich auf Partys mit echten Argentiniern und liess mir ein Gourmetrestaurant zeigen, das nicht mal der Lonely Planet kennt und statt einer Favela-Tour besuchte ich Freunde meiner Freunde in Stadtvierteln, in die Touristen sonst nicht gelangen. Ich liess mir von Experten zeigen, wie man Coca-Tee kocht, warum man am Titicacasee Kerzen anzündet und probierte das bolivianische Nationalgericht hausgemacht von Mauricios Oma. Ich ging mit echten Brasilianern auf ein typisch brasilianisches Volksfest und probierte gebratenes Hühnchen an der einzigen Garküche Santa Cruz, an der man laut Laura nicht krank davon wird.
Natürlich klingt "Ich hab ein paar Freunde besucht" nicht so abenteurlich wie "Ich bin auf dem Fahrrad durch Botswana gefahren". Aber ich denke, im Endeffekt lernt man Land und Leute dann kennen, wenn man mit Einheimischen unterwegs ist und nicht, wenn man mit Deutschen durch die Gegend trampt. Denn ehe man sich versieht, wird man zum Gringo: redet deutsch, kocht abends im Hostel Spaghetti Bolognese,spielt typisch deutsches Mensch-ärger-dich-nicht und merkt am Ende des Urlaubs, dass man das Land zwar bereist, aber nicht kennengelernt hat - Rucksack hin oder her.

An dieser Stelle ein dickes Dankeschön an Mauricio, Laura, Paula und Elisa - mit euch hatte ich die besten Urlaube meines Lebens.
Es lebe mein blauer Reisekoffer!