Sonnenuntergang in Porto Alegre

Sonnenuntergang in Porto Alegre

Mittwoch, 24. November 2010

Sometimes happy, sometimes sad

Bei meiner Arbeit im Cesmar liegen Lachen und Weinen, Trauer und Freude, Elend und Glück manchmal so nah beieinander, dass es einem Angst machen kann.

Einer der Jugendlichen, der im Cesmar im Computerkurs war, ist gestorben.
Er war der Sohn einer der Cesmar-Angestellten und wie genau er zu Tode gekommen ist, wissen wir nicht. Er wurde ermordet und er hatte mit Drogen zu tun. Er war gerade erst 18 geworden, fast noch ein Kind und eigentlich aus "gutem Hause": seine Eltern arbeiten, der Cesmar-Kurs stellt ihm sogar einen Beruf in Aussicht.
Aber es ist gar nicht so leicht, sich aus den Drogen und der Krimnalität rauszuhalten, wenn man in der Favela lebt. Ein paar Stunden am Tag werden die Kinder und Jugendlichen aus dem Elend raus und von der Strasse weggeholt, aber sobald sie aus dem Tor des Cesmars treten, stehen sie wieder mitten drin. Eine Aussicht auf einen Beruf hilft nichts, wenn es JETZT an essentiellen Dingen fehlt, wenn kein Essen für die kleinen Geschwister auf dem Tisch steht, wenn man keine Schuhe hat und kein fliessend Wasser. Wenn man dann irgendwann angeboten bekommt, ein bisschen Gras zu verkaufen und dafür soviel Geld zu bekommen, wie die Familie sonst im Monat nicht verdient - dann wird man vielleicht irgendwann schwach.
Plötzlich steckt man drin im Drogenhandel, aus Gras werden Pillen, aus Pillen wird Crack und eines Tages wird man von einem rivalisiernden Dealerring erschossen, weil man zu gefährlich wurde.

Der Junge war keiner von "meinen" Schülern, ich habe ihm keinen Unterricht gegeben. Aber trotzdem: Man hat auf dem Flur mal ein "Oi" gewechselt, in der Pause gefragt, wie es so geht.
In solchen Momenten merke ich immer wieder, dass die Favela, durch die ich jeden morgen laufe, keine Filmkulisse ist. Und ich merke, dass das Cesmar den Kindern einen Strohhalm reicht, der für die meisten leider viel zu dünn ist. Viele rutschen trotzdem ab.
Ein Projekt wie das Cesmar ist einfach nicht genug - damit sich das Leben dieser Kinder ändert, damit sie wirklich eine Chance haben, müssen sich so viele Dinge ändern.
Erschreckend ist auch die "Gleichgültigkeit", mit der mit dem Thema Tod umgegangen wird. Der normale Tagesbetrieb geht einfach weiter, nur das eben eine Person fehlt. Der Tod ist einfach zu allgegenwärtig, als das man jedes mal lange innerhalten könnte, um zu trauern. Fast jedes der Kinder erzählt in seinen Geschichten von verstorbenen Familienmitgliedern - der Tod ist Alltag in der Favela. Manchmal kommt einem dann die ganze Arbeit, die man jeden Tag leistet, sinnlos vor, man ist so machtlos und man tut alles was man kann und es reicht nicht, es reicht einfach nicht und die Kinder rutschen trotzdem ab.

Am gleichen Tag, an dem wir vom Tod eines unserer educandos erfuhren, wurde uns aber auch eine tolle Neuigkeit mitgeteilt. Zwei Jungen aus der T8 haben bei einem internationalen Malwettbewerb des Lions-Clubs mitgemacht, um ihr Talent zu beweisen. Sie haben nicht nur auf Stadt- und Kreisebene gewonnen, sondern sogar den Titel des besten brasilianischen Kunstwerks erkämpft. Das Preisgeld beträgt jetzt schon 500 Dollar, eine unglaubliche Menge Geld für brasilianische Relationen. Falls die beiden in die Endrunde einziehen, dürfen sie sogar mit ihren Eltern nach Amerika fliegen, um an der Preisverleihung teilzunehmen.
Ohne das Cesmar hätten die beiden niemals die Chance gehabt, ihr Können unter Beweis zu stellen und einen so wunderbaren Preis zu gewinnen.
Manchmal kommt einem die Arbeit dann so wichtig vor. Kinder, an die keiner glaubt, Kinder, denen keiner eine Chance gibt, können beweisen, dass sie mehr sind als nur "dreckige Favelakinder". Plötzlich sieht man einen Stolz in den Augen dieser Jungs, eine Freunde und ein Glänzen, den man hier in der Favela selten sieht.

Lachen und Weinen, Elend und Freude liegen im Cesmar dicht beieinander. Eigentlich ist das Projekt ein fröhlicher Ort, voller Spiel, Spass und Kinderlachen. Aber das Cesmar liegt eben trotz allem mitten in der Favela.
Deshalb besteht mein Alltag aus kleinen Erfolgen und grossen Katastrophen.

Donnerstag, 11. November 2010

"Und jetzt bitte einmal mit Akzent" - wie ich in Brasilien zum Model wurde

Das so ein Austausch einige Überrraschungen bereit hält, das wusste ich ja schon vorher, aber damit hätte ich wirklich nicht gerechnet: Das ich in Brasilien in einem Werbespot mitspielen würde!
Die ganze Geschichte klingt so unglaublich, als wäre sie einer kitschigen lateinamerikanischen Novela entsprungen:
Eines Tages fand ich nach der Arbeit eine Email von meiner Austauschorganisation in meinem Postfach, das ungefähr folgenden Text enthielt:
"Liebe Franziska, hier in Porto Alegre wird ein Werbespot gedreht und dafür brauchen sie blonde Menschen mit Akzent - versuch doch mal dein Glück!"
Da ich mir dachte "versuchen kostet ja nichts" ging ich am nächsten Tag zum Casting, ohne genau zu wissen, was mich da erwarten würde.
Was mich da erwartet war nach der Begrüssung die Frage "Von welcher Modelagentur komst du denn?" MODELAGENTUR??? Nachdem ich stotternd zugab, ich hätte sowas noch nie gmacht, erntete ich mitleidige Blicke von den anderen Mädels, die schon im Wartezimmer sassen.
Leicht verunsichert ging ich in den Aufnahmeraum, als ich aufgerufen wurde und erfuhr, worum es ging: Ein Werbespot für eine Uni, die ein neues Austauschprogramm hat und deshalb möglich multikulturell erscheinen sollte.
Meine Aufgabe war dementsprechend : "Sprich folgenden Text mit möglichst viel Akzent!!"

Ich machte mir keine grossen Hoffnungen nach dem Casting und war umso überraschter, als 2 Tage später das Telefon klingelte "Franziska, kannst du die Rolle der Deutschen spielen??"

Kaum 2 Tage später war es dann so weit: Ich wurde morgens vor 6 abgeholt und zum Set gefahren und erfuhr dann ersmal, dass das "Leben als Model" gar nicht so aufregend ist, wie man denkt: Ich wartete erstmal 4 Stunden, während "die Bolivianerin" und "die Australierin" dran waren. Dann ging plötzlich alles ganz schnell: Kostümprobe, ich hatte ja keine Ahnung, worauf man da alles achten muss ( lieber grün, das passt zu den Augen, nein blau, aber das ist schon der Franzose, dann halt rot, aber warte, lieber gelb?), Haarstyling und professionelles Makeup.
Gefühlte 10 Kostüm und Stylingvariationen später sass ich dann vor der Kamera, doch bevor es losging, wurde erstmal eine Stunde lang Beleuchtung und Ton abgestimmt, was meine Nervosität noch deutlich steigerte.
Als es endlich losging, verging die Zeit dann wir im Flug: Jede Szene war nach 3 Klappen im Kasten, sogar die schlimmste, in der ich einen einseitigen Text auf Portugiesisch aufsagen musste (es war dabei gar nicht so einfach, die Balance zwischen "Akzent" und "unverständlich" zu finden). Nach gefühlten 20 Minuten hiess es dann schon "Danke, Franzie, das haben wir im Kasten".

Kaum war ich zu Hause, abgeschminkt und umgezogen, war das "brazilian next topmodel"-Gefühl auch schon wieder vorbei - aber eine tolle Erfahrung war es auf jeden Fall.
Das Resultat von 3 Drehtagen? Zwei Werbespots, die jetzt hier im Fernsehen laufen (sogar in der Novela-Werbung!!) und den dank Youtube auch neugierige Leute aus Deutschland anschauen können!