Sonnenuntergang in Porto Alegre

Sonnenuntergang in Porto Alegre

Donnerstag, 2. Juni 2011

Favela-Impressionen aus Mario Quintana, Rubem Berta

Meine Kollegin aus dem Cesmar lud mich ein, mit ihr Familienbesuche bei den Kindern durchzuführen, die häufig im Cesmar fehlen. Sie ist unsere "assistente social", so eine Art Sozialarbeiterin, Jugendamt, Seelsorgerin und Rechtsbeistand in einem. Ihre Aufgabe, ist es, den Familien zu helfen und beizustehen und besucht sie deshalb von Zeit zu Zeit umd zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln.

Einige Häuserblocks vom Cesmar entfernt beginnt die "echte" Favela, in der unsere Kinder leben und die ich noch nie besucht habe.
Die Behausungen hier sind alle illegal, niemand hat sein Grundstück gekauft.
Keine asphaltierten Strassen. Weder Strom noch fliessend Wasser. Matschige Trampelpfade zwischen den Barracken. Die Abwässer werden auf die Strasse geleitet; Spülwasser und Fäkalien bilden Pfützen am Strassenrand.

Ein "Haus", das wir besuchen.
Gammlige Holzplanken und Pappe wurden notdürftigt zusammengefügt. Die Barracke ist halboffen und der eisige Wind weht herein. Im Schlafzimmer fehlt eine komplette Wand. Nachts wird das Loch provisorisch mit Müllsäcken verschlossen. Die Besitzerin seufzt: "Da muss bald was passieren. Meine 3 Kinder haben Asthma und 2 haben Bronchitis. Bevor es kalt wird, muss ich da eine Wand hinbauen". Während unseres Besuches hat es 10 Grad Celsius.
Eine gammlige Matratze auf dem Fussboden bildet das "Bett" für 5 Personen. Es gibt keinen echten Boden, sondern nur die blanke Erde.

Meine Kollegin zeigt mir den Fluss, in den die Drogenbosse die Leichen werfen. So kann die Polizei keine Frage stellen.

Müllberge, so weit das Auge reicht. Teilweise 1 bis 2 Meter hoch türmen sie sich auf den Gründstücken. Die meisten Leute halten sich hier mit Müllsammeln über Wasser, nutzen, was sie brauchen können und verkaufen den Rest.

Barfüssige Kinder laufen über den eisigen Boden.

An der Ecke tauschen zwielichtige Männer Päckchen und schauen sich argwöhnisch um.

Drei Kinder backen am Strassenrand Sandkuchen und laden mich zu ihrer "Geburtstagsfeier" ein. In ihrer Fantasie türmen sich vor ihnen Schokoladen- und Erdbeertorten, aber traurigen Blickes erklärt die kleinste: "Leider ist nichts davon echt".
Ihre Mutter erzählt von der Nacht, in der die Polizei bei ihr im Schlafzimmer stand, um ihren Mann zu verhaften.
12 Jahre wegen eines Tötungsdeliktes. Vor kurzem wurde er in eine andere Stadt verlegt und sie kann ihn nicht mehr besuchen, weil der Bus zu teuer ist.
Sie ist drogenabhängig. "Ich hätte wirklich Grund mich umzubringen" Neben ihr spielen ihre KInder immernoch Geburtstag.

Ein kleiner Junge mit Down-Syndrom bettelt um Essen. Eine ältere Dame schiebt ihm durch den Zaun eine Banane zu. "Er kriegt ja sonst nichts".

Halbwüchsige Jugendliche mit auffallend teuren Handys und Mrakenklamotten stromern durchs Viertel.

Eine junge Mutter mit Neugeborenem lebt ein einem Holzverschlag neben dem Fluss. 2 x 2 Quadratmeter, keine Tür, die Hälfte der Rückwand fehlt. Sie ist aus der Nachbarstadt Alvorada vor ihrem Mann geflüchtet.

Offensichtlich unter Drogen stehende Menschen irren ziellos umher.


Mitten im bittersten Elend steht eine 2-stöckige Villa. Meine Kollegin stupst mich an und flüstert "Drogenboss".
Porto Alegre gilt als eine der reichsten Städte Brasiliens.


In 3 Jahren wird hier die Fussball-WM stattfinden.




Brasilien gilt als aufstrebende Wirtschaftsmacht und nicht mehr als Entwicklungsland.

2 Kommentare:

Lars hat gesagt…

Hey Franzi,
in Porto Alegre sieht ja nicht alles so aus.
In Suedafrika hat die WM auch geklappt und dort gibt es weit groessere Slums.
Brasilien ist ein Schwellenland.
Stells bitte net so da, dass es nur eine Seite gibt.
Du koenntest ja bei deinem letzten Bild auch modernste Gebaude aus Brasilia oder Rio ueber deine Unterschrift kleben.

Franzie hat gesagt…

Lieber Lars,
natürlich sieht es nicht überall in Brasilien so aus, sondern nur in manchen Stadtvierteln, den Favelas. Ich versuche keinesfalls so zu tun, als gäbe es nur eine Seite, ganz im Gegenteil: Ich bemühe mich, die "andere" Seite zu zeigen, eine Seite, von der viele Leute keinerlei Vostellung haben. Häufig höre ich Kommentare wie "Brasilien ist doch gar kein armes Land" und die meisten Leute, die so etwas sagen, haben nur eine grobe Vorstellung davon, wo Brasilien überhaupt liegt. Brasilien ist bestimmt kein armes Land. Aber Brasilien ist ein ungerechtes Land.
Die Favelas sind Stadtviertel, die gerne vergessen werden, die Touristen nicht sehen und die die Fernsehteams nicht zeigen. Aber sie sind eben immernoch da und ihre Bewohner, die unter menschenunwürdigen Zuständen leben, profitieren nicht von der Fussball-WM.
Die Tatsache, lieber Lars, dass nicht alle Menschen in Brasilien in bitterer Armut leben, hält mich nicht davon ab, über diejenigen zu berichten, die es tun.
Inwieweit die WM in Südafrika "geklappt" hat, ist eine Frage, die ich nicht beantworten mag und ich denke, das kann niemand, der die soziale Realität des Landes nicht kennt.
Ich möchte in meinen Blogartikeln keinesfalls "Wahrheiten" widergeben - ich schildere lediglich meine Impressionen und Erfahrungen.